Nachtrag 2 – Nadine heiratet

Die aktuelle Wettervorhersage für Nadine ist berauschend. Nadine verschmilzt sich mit einem anderem Tief: Nadine heiratet. Den Vorgang könnt ihr im folgenden Video sehen. Westlich von Spanien seht ihr eine Hochdruckfamilie, westlich der Hochdruckgebiete ist das Sturmtief Nadine, welches sich dann mit dem noch weiter von Westen ankommenden großen Tief zu einer Tiefdruckfamilie vereinigt. Die Tiefdruckfamilie dreht sich dabei um ihren Schwerpunkt gegen den Uhrzeigersinn. In Blau sind die dazugehörigen Niederschläge zu sehen.

Damit ist die Berichterstattung von diesem Sturmtief im Atlantik wohl beendet. Viel Spass bei der stürmischen Heirat.

Nachtrag Nadine

5 Tage nach der nicht vorhandenen Übereinstimmung der europäischen (ECMF) und amerikanischen (NOAA) Meteorologen zum weiteren Verlauf von Nadine gibt es das Sturmtief immer noch. Es ist nicht, wie anfänglich angenommen Richtung Straße von Gibraltar unterwegs, sondern zieht munter lustig auf dem Atlantik umher. Der DWD findet Nadine nicht mehr so interessant und schreibt nun nur noch: „TROPISCHER STURM „NADINE“ 992 AUF 29 NORD 32 WEST, WENIG WESTZIEHEND“.

Es ist heute, am 27.09., etwas weiter südlicher und zieht die nächsten Tage wieder Richtung Norden. Anbei die Gribfiles von heute, dem 27.09. als auch vom 1.10.2012. Sehr schön zu sehen ist auch, dass die generell Windrichtung des Nordost-Passats durch das Tief gestört und überlagert wird und nachdem Nadine sich verzogen hat, sich der normale Nordost-Passat wieder breit macht. Diese Sturmtiefs werden mit zunehmender Zeit weniger. Das ist der Grund, warum die ARC im übrigen auch erst im November stattfindet.

Ein weiterer Grund ist, dass die Innertropische Konvergenz ITC im November südlicher als im Frühjahr liegt. In der ITC treffen Südost- und Nordostpassat zusammen. Die Luft steigt auf, kühlt sich ab und es fängt aufgrund der in der Höhe vorhandenen Kälte und damit weniger großen Aufnahmefähigkeit von Wasserdampf an zu regnen (Zenitalregen). Die ITC wird auch häufig Kalmengürtel und im Atlantik Doldrums genannt und ist neben dem Regen zudem gekennzeichnet durch Windstille. Und das ist zum Segeln nicht zu gebrauchen. Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Innertropische_Konvergenzzone.

In den Gribfiles kann man ebenfalls die ITC erkennen. Sehr schön im dritten Bild zu sehen sind der Nordost- und Südostpasst, die sich in der Mitte treffen. Dort ist die Windstärke – zu erkennen an der Anzahl und Länge der Windfedern – gering, die Winde sind bzgl. der Richtung uneindeutig. Blau eingefärbt ist der Niederschlag, je dunkler, desto mehr Regen. Das dunkelblaue Band – die ITC – zieht sich sehr schön waagerecht über das Bild.

Orkan Nadine in der Straße von Gibraltar

Auf dem Törn ist es natürlich notwendig, sich täglich Wettervorhersagen zu besorgen. Nun ist es so, dass wir bei schlechten Wetter nicht einfach im nächsten Hafen anlegen können, aber man kann sich vorbereiten. Die Vorbereitungen reichen von Segel tauschen oder reffen, das Schiff sturmfest machen, Wachen einteilen, Verpflegung vorbereiten bis hin zu Ausweichkurse und Sturmstrategie bestimmen.

Unten seht ihr in der ersten Grafik, dass sich das Tiefdruckgebiet Nadine direkt in die Straße von Gibraltar reindrückt und sich zu einem Orkantief entwickelt. Die Windfahnen zeigen mit ihren Federn an, aus welcher Richtung der Wind weg, die Anzahl der langen Federn gibt die Windgeschwindigkeit in 10 kn Schritten, die kurzen Federn in 5 kn Schritten an. Wenn Dreiecke statt Federn auftauchen, wird’s orkanartig und gibt 50 kn Wind an. Die Farben geben die Wellenhöhen an. Grün bedeutet ca. 1m, gelb 2m und orange bzw. dunkler 4m und mehr. Sehr schön zu sehen sind die engen Isobaren, die Stellen gleichen Luftdrucks angeben. Der Abstand der Isobaren ist ein Maß für die Windstärke, ihr seht also, dass der Wind stärker ist, je dichter die Isobaren liegen. Auf dem Weg vom Meer zur Küste gibt es einen sog. Küsteneffekt, d. h. der Wind wird an der Küstenlinie zusammengedrückt, was zu zusätzlichem Windführt, weswegen sich genau der Sturm zu einem Orkan entwickelt. Über Land wiederum ist der Wind deutlich schwächer, was daran liegt, dass der Wind über Land durch Reibung und Abdeckung abgeschwächt wird. Deswegen wird in den Fernsehnachrichten bei den Karibischen Wirbelstürmen auch berichtet, dass die Stürme über Land sich dann abschwächen und in der Orkanstärke heruntergestuft werden.

Beispiel: Direkt im Zentrum von Nadine (beim Buchstaben L=Low) haben wir südöstlichen Wind mit 40 kn und daneben mit 50 kn. Das entspricht einer Windstärke auf der Beauford-Skala von Windstärke mindestens 8 bzw. 10 Bft, was Sturm bzw. Orkanstärke entspricht.

Dieses Tool ist essentiell, um auf der Zeitachse unter Berücksichtigung der bisher vorgesehenen Schiffsroute und –geschwindigkeit zu prüfen, mit welchen Wind- und Wellenverhältnissen wir es voraussichtlich zu tun haben werden. Die Daten kommen per Satellit in komprimierter Form direkt auf das Schiff und werden mittels einer speziellen Software interpretiert. Die Datenquelle ist unter anderem von der NOAA, der National Oceanic and Atmospheric Administration, Washington.

Allerdings… wie sagte ein ehemaliger Kollege von mir immer: „Prognosen sind immer besonders dann schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen“. Die oben beschriebenen Daten sind von Freitag. Einen Tag später am Samstag (siehe Grafik 2) sieht das ganze schon wieder anders aus. Hier können wir sehen, wie schwierig Prognosen selbst für die Meteorologen sind: Die eurpäischen, amerikanischen und kannadischen Meteorologen konnten sich nicht einigen und je nach Datenbasis bekommt man unterschiedliche Interpretationen. Der DWD berichtet dazu am Samstag, 22.09.2012:

NADINE IS CURRENTLY BEING STEERED BY A DEEP-LAYER TROUGH TO ITS NORTHEAST.  A GENERALLY SOUTHEASTWARD MOTION WITH A DECREASE IN FORWARD SPEED IS EXPECTED DURING THE NEXT 24 HOURS.  AFTER THAT…THERE ARE TWO FUTURE TRACK SCENARIOS FOR NADINE OR ITS REMNANTS.  THE FIRST IS THAT ENOUGH TROUGHING REMAINS NORTHEAST OF THE CYCLONE TO STEER IT GENERALLY EASTWARD.  THIS SCENARIO IS SUPPORTED BY THE ECMWF…UKMET…GFDL…AND FLORIDA STATE SUPERENSEMBLE.  THE SECOND IS THAT DEEP-LAYER RIDGING DEVELOPS NORTH OF THE CYCLONE AND STEERS IT IN A GENERALLY WEST- NORTHWESTWARD DIRECTION.  THIS SCENARIO IS SUPPORTED BY THE GFS… GFS ENSEMBLE MEAN…NOGAPS…AND CANADIAN MODELS.  IT SHOULD BE NOTED THAT THE VARIOUS ENSEMBLE MEMBERS OF THE ECMWF…GFS… UKMET…AND CANADIAN MODELS ARE SPLIT BETWEEN THESE TWO SCENARIOS… MAKING IT DIFFICULT TO TELL WHICH WILL COME TO PASS. THE NEW TRACK FORECAST WILL FOLLOW THE EASTWARD SCENARIO FROM THE PREVIOUS FORECAST…WITH A SLOW FORWARD MOTION DUE TO THE VERY LARGE SPREAD IN THE GUIDANCE AFTER 24 HOURS.

Das dargestellte Orkantief ist in derselben Datenbasis daher über Nacht von der NOAA anders bewertet worden und wurde damit nicht bis zur Küste prognostiziert, sondern wurde für weiter draußen westlich der Küste auf dem Meer vorhergesagt. Die dritte Grafik ist die dazugehörige Wetterkarte vom Deutschen Wetterdienst (DWD) von Samstag mit der Prognose für Mittwoch.

Es kann halt auch anders kommen…

Kleine Bordpsychologie

Wie geht man mit der Situation des Eingesperrt sein um, mit der Enge an Bord, den kaum vorhandenen Rückzugsmöglichkeiten und der Reling als Grenze der Flucht? Wie kann man Konflikte vermeiden oder, wenn solche aufgetreten sind, diese lösen ohne daß einer auf offener See ausgesetzt werden muss? Was muss man während der Törnvorbereitung beachten?

So habe ich mir das Thema einmal angesehen und folgendes als Essenz herausgearbeitet:

Die totale Institution

Die Situation an Bord unterscheidet sich grundsätzlich nicht von der Situation in einem Gefängnis oder in einem Kloster. Soziologen bezeichnen solche Lebensbedingungen als „totale Institution“. Es gibt keine Trennung der sonst üblichen Lebensbereiche Arbeit, Freizeit und Schlaf. Alle Tätigkeiten werden im selben Lebensraum, unter derselben einzigen Autorität, dem Schiffsführer, durchgeführt. Die Kommunikationsmöglichkeiten sind auf die Crewmitglieder und – abgesehen vom Sprechfunk – nur auf diese beschränkt. Alle Rollen an Bord sind relativ festgelegt (Wacheinteilung, Sicherheitsrollen, etc.). Die soziale Dichte – das Leben auf 10 bis 20 qm Grundfläche – führt zu Stress. Daher ist auch in der Sportschifffahrt mit psychologischen Auswirkungen bei einer langen Überfahrt zu rechnen.

Von den äußeren Bedingungen her befindet sich jeder auf dem Schiff in einer existentiellen Situation, d. h. alle seine Tätigkeiten hängen unmittelbar mit seinem Überleben zusammen, woraus sich ergibt, dass nicht zählt, was ein Crewmitglied redet, sondern nur was er kann und leistet. Jedes Crewmitglied wird auf diese Weise verglichen mit dem normalen Landleben ein zweites Mal sozialisiert.

Habt ihr schon einmal beobachtet, dass z. B. Vögel sich mit gleichmäßigen Abständen auf den Telefondrähten verteilen und Tiere generell eine persönliche Pufferzone, den Nahbereich, um sich herum verteidigen? Männer verstehen das Thema unmittelbar: Geht in eine öffentliche Toilette. Der Abstand zum nächsten besetzten Pissoir ist nahezu immer maximal gewählt. Achtet drauf! Als ideale Distanz zu anderen Menschen wird generell eine Entfernung von 1,20 m bis 1,50 m angesehen. Auf Yachten werden die angegebenen Werte sozialer Distanz, insbesondere der Nahbereich, laufend unterschritten.

Jeder Mensch hat zudem das Bedürfnis hat, einen räumlichen und zeitlichen Bereich als „privat“ zu definieren. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass jedes Crewmitglied sich für einige Zeit persönlich zurückziehen kann. Hierfür kann z. B. die Koje herhalten, was impliziert, das für jedes Crewmitglied eine feste Koje zur Verfügung stehen sollte, wo auch private Utensilien untergebracht werden können. Diese Privatbereiche sind von allen zu respektieren.

Auch das im Tierreich bekannte Territorialverhalten findet sich – wenn auch in nicht sehr ausgeprägter Weise – auf Yachten wieder. Territorialverhalten zeigt sich z. B. durch die Skipper-Kajüte, die nur und ausschließlich vom Skipper benutzt werden darf. Es zeigt sich aber auch dadurch, dass Crewmitglieder sich Aufgaben suchen und das dafür notwendige Territorium für sich beanspruchen, z. B. das Crewmitglied welches gerne kocht und die Kombüse als „seine“ bezeichnet, oder das Crewmitglied welches Navigation übernimmt und daher den Kartentisch für sich beansprucht. Beide sehen es als Übergriff auf ihr Territorium an, wenn andere „ihre“ Aufgabe übernehmen möchten, ihren Raum beanspruchen oder gar ihre Aufgaben überprüfen. Der Schiffsführer ist nun verantwortlich für alle Vorgänge auf dem Schiff, jedoch tut er sicherlich gut daran, wenn er derartige Überprüfungen nur durchführt, wenn dies aus Sicherheitsgründen ihm notwendig erscheint.

Territorialkonflikte sind oft Ausdruck von Konflikten, die mit den Gruppenstrukturen und den Machtansprüchen Einzelner zusammenhängen. Scheinbar nichtige Kleinigkeiten eskalieren dann zu tief greifenden Auseinandersetzungen. An Land führen im Allgemeinen derartige Auseinandersetzungen zu Flucht, die auf Yachten jedoch durch die Reling auf den ersten Blick beschränkt ist. Man bezeichnet derartige Reaktionen von Menschen aufgrund der sozialen Dichte als Crowding.

Was müssen wir nun tun, um einen derartigen Crowding Stress zu vermeiden? Hier eine Sammlung der wichtigsten Punkte:

  • klare Rollenverteilung und Hierarchien an Bord
  • klare Interaktionsbedingungen (wer muss was wann in welcher Form mitteilen oder nachfragen)
  • gut funktionierende soziale Interaktion
  • Gruppenzusammenhalt
  • kooperatives Verhalten
  • rationale statt emotionale Problemdiskussion
  • das Wissen, das Crowding entstehen kann, kann die Wahrscheinlichkeit des Crowdings verringern
  • zeitweiliges Schließen von Schotten, Türen, um räumliche Distanz und Rückzug zu ermöglichen
  • sich selbst suggerieren, dass räumliche Nähe auch Vorteile hat
  • die Crew nicht zu groß wählen
  • jedem Crewmitglied seine / ihre Koje zuteilen
  • die Crewmitglieder frühzeitig mit dem Gedanken der Enge vertraut machen
  • Orientierung der Crew auf die gemeinsame Tätigkeit, damit die Enge in den Hintergrund tritt
  • Die auf den ersten Blick vorhandene Reling als Grenze zur Flucht kann auch als Chance oder Pflicht angesehen werden, um Probleme aktiv anzugehen und zu lösen. Dies kann durch den Skipper gefördert und unterstützt werden.
    (Siehe Kommentar: Herzlichen Dank, Ernst)
  • Bei auftretender Bord- bzw. Isolationsdepression als Folge des Stresses das Crewmitglied in die Bordaktivitäten mehr mit einbeziehen. Isolationsdepressionen können auftreten, wenn aufgrund nicht kompatibler Persönlichkeiten oder zu unterschiedliches seemännisches Können sich Crewmitglieder zurückziehen.

Die Aufgabe des Skippers ist es, obige Punkte zu kennen, zu erkennen und zu berücksichtigen.

Gruppendynamik an Bord

Wenn eine Gruppe zu Beginn eines Urlaubstörns an Bord kommt, stellt sie noch keine Gruppe dar. Es handelt sich lediglich um eine Ansammlung von Individuen. Die Gruppe muss sich erst noch „finden“. Die Gruppenmitglieder „beschnuppern“ sich und die spezifischen Stärken und Schwächen stellen sich erst nach ein paar Tagen dar. Es bilden sich dann erst Strukturen und Rangordnungen. Von einem weiss man, dass er der Skipper ist, dieser muss das aber erst noch „beweisen“, damit er als solcher auch akzeptiert wird.

Betrachten wir wieder das Tierreich: Rangordnungen werden im Tierreich im Hühnerhof beobachtet: Jedes Huhn tritt zu jedem anderen in eine bestimmte Rangbeziehung, die dadurch kenntlich wird, ob es das andere Huhn selbst hacken kann oder hinnehmen muss, dass es von ihm gehackt wird. Diese „Hackordnung“ finden wir auch in isolierten Gruppen, also an Bord, wieder.

Die Stärkung des Wir-Gefühls ist nun die Aufgabe des Skippers. Je mehr die Mitglieder einer Gruppe zu einer Wir-Gruppe werden, umso stärker heben sie sich gegen andere Gruppen, z. B. andere Crews, ab. Eine optimale Gruppengröße liegt bei ca. 6 Personen. Je größer die Gruppe, desto mehr Untergruppen bilden sich. Auf größeren Schiffen ist es daher wichtig die Gruppenstrukturen zu kennen, da durch geschickte Aufgabenverteilung somit Streitigkeiten vermieden werden können und die Gruppen in sich effektiver werden und Leistungen zeigen können, die die einzelnen Mitglieder der Gruppe so nicht erreichen können, sondern wozu nur die Gruppe als ganzes in der Lage ist und somit emergente Eigenschaften aufweist.
(Siehe Kommentar: Herzlichen Dank, Ernst)

Wie reden Gruppen miteinander und tauschen Informationen aus? Hier gibt es drei wesentliche Kommunikationsarten:

  1. Vollstruktur: Jeder redet mit jedem
  2. Sternstruktur: Einer, der Skipper, redet mit allen einzeln
  3. Kettenstruktur: Der Skipper redet mit Leadern, die wiederum mit den Teilen der Crew reden

Während in der Vollstruktur die Kommunikationsgeschwindigkeit am höchsten ist, ist die Führungsrolle des Skippers in der Vollstruktur eher unbestimmt und in der Sternstruktur am größten. Die Zufriedenheit der Crewmitglieder ist häufig in der Vollstruktur am größten, in der Kettenstruktur mittel und in der Sternstruktur am geringsten. Die Effektivität der Schiffsführung ist in Kriesensituation sicherlich am höchsten zu bewerten. So sollte jeder Schiffsführer einige selbstkritische Gedanken auf seinen Führungs- und Kommunikationsstil verschwenden. Sicherlich ist bei kleinen Crews eine sternförmige Kommunikation nicht angemessen, jedoch sollte nicht jede Entscheidung basisdemokratisch in einer Vollstruktur diskutiert werden. Die Kommunikation des Skippers erfordert in der Vollstruktur mehr Führungsqualitäten, Überzeugungskraft und Sachautorität als bei der Kommunikationsstruktur vom Typ Stern oder Kette, bei denen die Führungsrolle perse strukturell abgesicherter ist.

Fazit:

Menschen sind außerordentlich anpassungsfähig, auch an die ungünstigsten Bedingungen auf hoher See und in beengten Verhältnissen. Sind die Mechanismen bekannt und werden sie transparent gemacht, so sind massiven Auswirkungen kaum zu erwarten, solange sich Menschen den Verhältnissen an Bord und auf See freiwillig aussetzen. Es ist die Aufgabe des Skippers, sich mit der Gruppe auseinanderzusetzen und Eskalationen frühzeitig zu begegnen. Da ich weiss, dass auch „mein Skipper“ sich mit diesen Punkten schon beschäftigt hat, wird es hier sicherlich zu keinen Problemen kommen. Aber ich werde dandn ja berichten…

Für weitere Informationen zum Thema Bordpsychologie könnt ihr auch nachlesen in Michael Stadler, Psychologie an Bord, Delius Klasing Verlag.

Seekrankheit

Es kann jeden treffen. Dem Himmel sei dank, ich war bis jetzt nicht betroffen. Ich kam nur einmal vom Navigieren mit einem grünen Gesicht aus dem Salon, als in dem 40 Fuss Katamaran der Diesel in die Bilge gelaufen ist und vor sich hin dampfte.

Trotzdem gehört zur Vorbereitung eines solchen Törns, dass man sich mit der Thematik befasst. Insbesondere bei 2-Personen-Wachschichten ist es wichtig, wie man mit so einer Situation umgeht. Die Dünung auf dem Atlantik ist zudem länger und höher als auf der Ostsee. Und Passatsegeln von Ost nach West ist ein Kurs, der Seekrankheit fördern kann.

1. Was ist die Ursache für Seekrankheit?
Als Ursache der Seekrankheit gilt, dass die über den Gleichgewichtssinn im Innenohr wahrgenommenen Bewegungen wie z. B. Schaukeln in Widerspruch stehen mit den Eindrücken, die andere Sinnesorgane vermitteln, wie z. B. das Auge, welches „alles ist ruhig“ meldet. Seekrankheit wird meist verstärkt durch Fixierung des Blickes auf Objekte, die sich mit dem Fahrzeug bewegen, wie z. B. beim Lesen in einem Buch oder beim Fernsehen. Auch das Sitzen gegen die Fahrtrichtung kann die Seekrankheit begünstigen. Aus diesem Grund wird häufig empfohlen, den Salon zu verlassen, nach draußen zu gehen und den Horizont anzusehen. Das „Fische füttern“ sorgt dafür, dass durch die Magenentleerung alles Blut für das Gehirn zur Verfügung steht und somit eine schnelle Reaktion der Muskulatur (für Flucht oder Kampf) zu Verfügung steht. Offensichtlich funktioniert das nicht nur in lebensgefährlichen, sondern auch bei Angst auslösenden Situationen und eben auch bei Situationen, die durch nicht konsistent erklärbare Beschleunigungsreize ausgelöst werden, für die noch keine Anpassungsmechanismen entwickelt wurden.

2. Wie macht sich Seekrankheit bemerkbar?
Im Vorstadium empfindet der Betronnene Unwohlsein, Frösteln, Desinteresse. Er reagiert lansamer und spricht weniger. Der Puls erhöht sich und die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin erhöhen sich.

Bei zunehmender Seekrankheit entstehen kalter Schweissausbruch, Gähnen, Müdigkeit, Schläfrigkeit, Abgeschlagenheit, geistige Leere, Arbeitsunlust, Desinteresse bis hin zur Lethargie, Kopfschmerzen, Schwindel, Zwangsschlucken, Brechreiz, Sodbrennen und Erbrechen. Das Gesicht verfärbt sich von blass zu grünlich.

Schwere Seekrankheit ist begleitet von extremen Unwohlsein, Erbrechen bis zur völligen Magenleere und damit später zur Dehydrierung. Er leidet häufig unter Depression und dem Gefühl, am liebsten sterben zu wollen. In besonders schweren Fällen müssen Patienten sogar festgebunden werden, damit sie nicht über Bord springen. In seltenen Fällen kann Seekrankheit bei Menschen mit Herz-Kreislauf-Beschwerden zum Tod führen.

3. Prophylaxe

  • Pulverisierte Ingwerwurzel einnehmen
  • Ingwertabletten schlucken
  • Ohne Stress die Reise antreten und sich an das Schiff gewöhnen
  • Kein Rauchen
  • Kein Kaffee, Schwarztee und Alkohol
  • Viel Wasser trinken
  • Warme und trockene Kleidung
  • Rechtzeitig Segel reffen
  • Medikament: Spezialpflaster Scopoderm hinter das Ohr kleben (Scopolamin TTS,  Rezeptpflichtig!, Nebenwirkungen!)

4. Wenn’s einem übel wird

  • Ingwer kauen
  • Sich ablenken und beschäftigen lassen
  • Sich oben aufhalten und Horizont ansehen
  • Akupressur auf den sog. Neiguan-Punkt (Akupressurpunkt, 3 Finger breit von der Handgelenksfalte Richtung Oberarm, zwischen den beiden Sehnen)
  • Auf den Rücken legen, Wolken oder Sterne zählen, oder die Augen schließen. Pütz bereithalten
  • Medikament: Super Pep Forte kauen. Macht unmittelbar und sehr müde. (Dimenhydrinat, Achtung: Nebenwirkungen!)
  • Medikament: Arlevert, (Cinnarizin ggf. mit Dimenhydrinat). Achtung: Nebenwirkungen! Rezeptpflichtig!
  • Medikament: Pericephal, Stutgeron, Stugeron (Cinnarizin). Stutgeron als deutsche Variante ist eine Forte-Version und macht ggf. müde. Achtung: Nebenwirkungen! Rezeptpflichtig!
  • Medikament: Stugeron 15, 15mg Cinnarizine, ist über Online-Apotheken frei erhältlich
  • Medikament: Wenn nichts mehr hilft, dann MCP Zäpfchen nehmen (Metoclopramid). Achtung: Nebenwirkungen! Rezeptpflichtig!
  • Medikamt: Scopoderm TTS (Scopolamin). Transfermales Depot-Pflaster zum Aufkleben hinter dem Ohr. Hält 3-4 Tage. Achtung: Nebenwirkungen! Rezeptpflichtig!

In jedem Fall dem Skipper Bescheid geben und sich ggf. anlaschen lassen, damit man beim „Fische füttern“ nicht über Bord geht. Egal was Ihr macht oder nehmt: Fragt bitte Euren Arzt vorher und lest die Packungsbeilage.

5. Wichtiger Hinweis
Die meisten Mittel gegen Seekrankheit machen müde und verlängern die Reaktionszeit. Man kann also weder Auto, noch Schiffe steuern. Viele haben erhebliche zusätzliche Nebenwirkungen. Vorsicht bei Schwangerschaft. Erst mit dem Apotheker oder Arzt reden und Beipackzettel lesen.

6. Wusstet ihr schon, dass

  • Chinesen nahezu zu 100% seekrank werden
  • auch jahrelang nicht seekranke Personen plötzlich seekrank werden können
  • Schwanken bis 15% Neigung eher förderlich für Konzentration und Wohlbefinden sein können (Prinzip Schaukelstuhl) und erst mit stärker werdender Neigung das Schwanken zu immer größeren körperlichen Beeinträchtigungen führt
  • man beim Computerspielen seekrank werden kann
  • Tiere auch seekrank werden können

7. Kurioses

  • Der Knaller ist die Brille mit künstlichem Horizont für 169,- EUR: http://www.esys.org/seekrank/brille.html
  • Ein Freund von mir meinte mal, als er von Seekrankheit bei einem Törn auf der Ostsee betroffen war: „Ich weiss schon, warum der Mensch zur Gruppe der Landsäugetiere gehört…“

Euer Knut

Neue Blog-Bilder

Wenn ihr den Blog aufruft, werdet ihr eins von vielen zufälligen Bildern aus Törns von mir zu sehen bekommen. Selber fotographiert, selber geschnitten, selber eingebaut. Wer weiss, auf welchem Schiff und wo die Bilder entstanden sind, darf das gerne in den Blog schreiben.

Viel Spaß
Euer Knut

Der Sprung über die Biskaya

Am 21. August sind Heidi und Peter in Falmouth, Südwest-England, angekommen. Jetzt heisst es warten, bis zum Sprung über die Biskaya. Es ist bei denen lausig kalt und nass. Die Tiefdruckgebiete sind „formschön“, mit dicht aneinander gekuschelten Isobaren, so dass der Wind pfeift und durch die südlichen Winde an ein weiterkommen nicht zu denken ist.

Ich werde gebeten, meine meteorologischen Kenntnisse zu nutzen und den Wetterfrosch zu spielen. So telefonieren Peter und ich gemeinsam täglich um 22:00 Uhr Lokalzeit und diskutieren über die allgemeine Wetterlage. Meine Aufgabe ist das tägliche studieren der Wetterkarten des DMD und der Grib-files mittels zyGrib. Daraus versuche ich dann, eine Route über die Biskaya zu finden oder Peter mitzuteilen, dass er noch warten muss… das ist schwer für ihn.

Am Donnerstag, den 30. August sind sie in Falmouth, UK, abends gestartet. Mit Zwischenstopps in Quessant (Westlich von Brest), Audierne und Loctudy wegen Flaute im Hoch sind beide dann wohlbehalten am Mittwoch Abend, den 7.9. in La Coruna, Spanien, angekommen.

Es zeigt sich, dass für die Überquerung der Biskaya ein Hoch notwendig aber nicht hinreichend ist. Im Hoch muss auch noch Wind sein, und zwar vorzugsweise aus der richtigen Richtung und möglichst noch in einer angemessenen Windstärke. Ein halber Tag macht es da schon aus. Aber seht selbst…

Unten findet ihr die Wettersituation am Donnerstag, den 30.08.2012, einen halben Tag sowie direkt vor der Überfahrt. Ihr seht, dass das Hoch über England sich einmal um England und Irland herumquetscht und dadurch ein Kapeffekt um Irland entsteht, und in der anderen Situation etwas später das Hoch über die gesamte Insel sich verteilt. Die Gribfiles mit den Windstärken und -richtungen zeigen die entsprechenden Windrichtungen. Sehr schön zu sehen sind die Windfedern als auch die Wellenrichtungen der Windsee. Die Farbdarstellung geben die signifikante Wellenhöhe an: gelb 2 m , orange 4 m.

Die Grafiken sind vom Deutschen Wetterdienst (www.dwd.de) und die Gribfiles wurden mittels zygrib dargestellt. Die Daten sind vom NOAA, der National Oceanic and Atmospheric Administration.